Die Mühe wert? Nürnbergs Traum von der Europäischen Kulturhauptstadt

von Jérôme Lenzen

Heilig-Geist-Spital in Nürnberg, Mittelfranken, Bayern, Deutschland

„Wir wollen der Geschichte nicht den Rücken zukehren, sondern uns ihr neu stellen.“

Die Nürnberger Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025, die, wie wir in unserem vorherigen Beitrag schon erläuert haben, gegen Chemnitz verloren hat, versucht einen Spagat: Auf der einen Seite steht die Konfrontation mit dem historischen Erbe einer Stadt, die eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung des Nationalsozialismus gespielt hat. Und auf der anderen Seite steht der Blick in die Zukunft oder, besser gesagt, die „Suchbewegung in eine bessere Zukunft“. Zukunft und Vergangenheit, Past Forward, lautet das Leitmotiv, welches in insgesamt 10 Zielen mündet. Darunter fallen Schlagworte wie Chancengerechtigkeit, Teilhabe und Inklusion, aber auch Kreativwirtschaft, Tourismus und Nachhaltigkeit. Wer in den letzten Jahren Tagungen und Workshops im Kulturbereich besucht hat, wird in der Nürnberger Bewerbung den strebsamen Versuch erkennen, alles einzulösen, was derzeit en vogue ist. Das soll keineswegs gehässig klingen, das Nürnberger Bidbook strotzt nur so vor guten Ideen. Leider entsteht bei der Lektüre unweigerlich der Eindruck, die Verfasser hätten Bingo gespielt, um ja nichts zu vergessen. Doch das ist mitnichten eine Kritik an den Inhalten.

Leni Riefenstahl 1935

Die Kulturhauptstadt-Projekte: Zwischen Partizipation und colonial gaze

Das Projekt ‚Die Wunde Riefenstahl‘ widmet sich beispielsweise der längst fälligen, aber bislang nur spärlich stattgefundenen Aufarbeitung Leni Riefenstahls, indem „das Fortbestehen faschistischer Ästhetiken in Bild- und Medienwelten“ in den Blick genommen wird. Das ist nicht nur relevant, sondern trifft in Hinblick auf die aktuellen Debatten um den colonial gaze wie kaum ein anderes Projekt den Zeitgeist. Gleiches gilt für das Projekt ‚a different view‘, in welchem Riefenstahls faschistischer und kolonialer Blick „auf die indigene afrikanische Bevölkerung“ aus dem globalen Süden in künstlerischen Positionen beantwortet wird. Diese Projekte sind künstlerisch ambitioniert und relevant, gleichzeitig geht dem Nürnberger Bidbook ein wenig ab, was in Chemnitz über die Fokussierung auf Garagen eingelöst wird: der partizipatorische Ansatz und die barrierearme Vermittlung jenseits intellektueller Debatten. Mit dem ‚Kulturhauptstadt 12-Sterne-Hotel‘ war zwar ein sehr spannender Beitrag geplant, der von Kindern und Jugendlichen (mit-)entwickelt wurde, indem sie ihre Träume von einem Nürnberg der Zukunft formuliert haben. Doch sollten uns die Fragen der Kinder nicht mehr interessieren, als ihre Antworten? Das Projekt ‚Big Little Rights‘ ist noch so ein gutes Beispiel. Aufbauend auf Nürnbergs Theatertradition sollten neue Stücke entwickelt werden, um das Thema der Kinderrechte in viele andere Länder zu tragen, „um auch dort den Diskurs zum Thema Kinderrechte zu vertiefen“. Eines der zentralen Rechte und somit Thema des Stücks: Mitsprache. Die lässt sich jedoch schwerlich erreichen, wenn das mitzusprechende Thema bereits vorgegeben ist.

Kulturmanagement-Netzwerke im Fokus

Diese Kritik ist keinesfalls der Nürnberger Bewerbung anzukreiden, sie trifft im Kern eher die Ausschreibungspraxis von Kulturförderung insgesamt. Die Bidbooks müssen derart konkret ausformuliert sein, sodass es schwierig wird, der Kunst die freie Möglichkeit zur Entfaltung zu geben. ‚Don’t fight the player, fight the game‘ heißt es. Deswegen müssen wir Nürnberg ein wenig in Schutz nehmen. Ihre Bewerbung hatte gute Aussichten auf den Titel als Kulturhauptstadt 2025. Das Chemnitzer Bidbook hat womöglich besser damit umgehen können, nicht bereits feststehende Ergebnisse anzukündigen und das Moment der Überraschung und des Entdeckens in die Bewerbung hineinzutragen. Grundsätzlich täte es dem Wettbewerb gut, wenn die Städte weniger formell an der Entwicklung einer Vision arbeiten dürften. Denn so ausgefeilt die Ausschreibung auch sein will, so sehr verengt sie die Möglichkeiten. Nicht nur deswegen gilt es den Kulturhauptstadt-Prozess und die damit verbundenen Berater:innen-Netzwerke kritisch zu begleiten und wenn möglich auf eine Reform hinzuwirken. Eine interessante Perspektive hat hierbei die Stadt Hannover formuliert. Mehr dazu im nächsten Beitrag.

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