von Paul Langner
Seit Februar beschäftigen wir uns mit dem Komplex Nachhaltigkeit. Dabei ist uns schnell etwas klar geworden: Bei Nachhaltigkeit handelt es sich um ein multidimensionales Thema, das kontinuierlich von der Person oder der Institution verfolgt werden muss, die es sich zum Ziel setzt, tatsächlich nachhaltiger zu sein. Denn der Wandel zur Nachhaltigkeit ist kein Prozess, der über Nacht stattfinden kann. Es gibt stets weitere Schritte, die implementiert werden müssen, um die eigenen oder die gesamtgesellschaftlichen Ziele zu erreichen.
Die Komplexität, mit der Nachhaltigkeit behaftet ist, deutet noch auf eine weitere Erkenntnis hin: Nachhaltigkeit ist ebenfalls eine Frage der Bildung. Denn das Thema an sich wirkt so gigantisch, der Weg zur Nachhaltigkeit scheint so lang und beschwerlich, dass Emotionen wie Überforderung bis hin zur Gleichgültigkeit auftreten können. Wie soll ich es nur schaffen, die Welt nachhaltiger zu gestalten? Und am Ende liegt es doch eh nicht an mir, oder?
Sustainable Design an der ecosign
Auf diese Fragen sollen im Studium an der Hochschule ecosign in Köln Antworten gefunden werden. Dort wird seit der Gründung im Jahr 1994 der deutschlandweit einzigartige Studiengang „Nachhaltiges Design“ angeboten. Hier können die Student:innen lernen, wie sie die Welt nachhaltiger gestalten können. Das Ziel lautet „Sustainable Design“, also die erfolgreiche Verschmelzung von Gestaltung und Nachhaltigkeit durch die Vermittlung von kreativen, handwerklichen und ästhetischen Kompetenzen. Die ecosign orientiert sich dabei unter anderem an der Nachhaltigkeitsdefinition aus dem Brundtland-Bericht von 1987. Laut dieser handelt es sich bei Nachhaltigkeit um eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.
Während des Studiums werden die Bereiche Produkt-, Kommunikations-, Illustrations- und Fotodesign im Kontext der Nachhaltigkeit beleuchtet. Bei Produktdesign handelt es sich um die Aufgabe, Produkte und Dienstleistungen so zu entwerfen, dass sie dem Menschen viel nutzen und die Umwelt wenig belasten. Als Beispiel kann hier der wieder verwendbare ReWrap angeführt werden, das Projekt einer Studentin der ecosign. Kommunikationsdesign hingegen beschäftigt sich mit der Frage, wie ein gesellschaftlicher Kulturwandel durch kreative Kampagnen und durchdachte Medienbeiträge begünstigt werden kann. Doch wie kann nachhaltig illustriert oder fotografiert werden? Hier scheint die Verbindung zwischen Gestaltung und Nachhaltigkeit auf den ersten Blick weniger offensichtlich.
Nachhaltigkeit – Eine Frage des eigenen Standpunkts
Um mehr Einblick in das Studium an der ecosign und die Philosophie des Sustainable Designs zu erhalten, habe ich mich mit Ina Busch unterhalten. Die ausgebildete Fotografin hat zum einen selbst an der ecosign studiert, zum anderen lehrt sie dort als freie Dozentin im Bereich Fotografie und Projektbegleitung. Somit hat Ina nicht nur einiges über nachhaltige Gestaltung gelernt; sie gibt ihr Wissen weiter und setzt es in ihrem (Arbeits-)Alltag um. Was sie mir über ihre Interpretation von Nachhaltigkeit und deren Realisierung verraten hat, überraschte mich sehr.
Für Ina handelt es sich bei nachhaltiger Gestaltung um eine Auseinandersetzung mit Problemen durch verschiedene Lösungsansätze. Um sich den verschiedenen Problemen annehmen zu können, sei es wichtig, den eigenen Standpunkt zu kennen, erzählt sie mir. Vor der Beschäftigung mit der Umwelt, ein Begriff, der sowohl Natur als auch andere Lebewesen umfasst, steht also erstmal die Konfrontation mit sich selbst. Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Was möchte ich verändern? Wer diese Fragen beantworten kann, ist in der Lage sich selbst und seine Auswirkungen auf die Umwelt zu verstehen und so verantwortungsbewusst zu gestalten. Denn wer sich selbst versteht, kann sich als Teil eines größeren Ganzen erkennen, der beeinflusst und beeinflusst wird. Ina zufolge sei dies der wichtigste Aspekt des Studiums an der ecosign. Anstelle einer bestimmten Haltung gegenüber der Nachhaltigkeit und Umwelt oder vorformulierten Moralvorstellungen bietet das Studium vor allem einen Raum für die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt. Diese Selbstreflektion findet Platz in jedem Seminar, in jedem Themenfeld und kann sowohl introspektiv als auch im Gespräch mit Dozent:innen und Kommiliton:innen stattfinden.
Besonders wichtig: Raum für Selbstreflektion und Auseinandersetzung
Als Dozentin bemüht sich Ina selbst, diesen Raum in ihren Seminaren zu schaffen. So hat sie für das kommende Semester ihr Fotografie-Seminar in die Themen Fotografie, Fotolabor und Digitalisierung von analogen Bildern aufgeteilt. Durch die thematische und räumliche Trennung möchte die Dozentin die Student:innen dazu motivieren, sich einerseits selbstständig und andererseits im Gespräch mit den Kommiliton:innen mit den Themen und den Problemen auseinanderzusetzen.
Denn besonders diese soziale Komponente der Nachhaltigkeit ist Ina wichtig. Für sie persönlich bedeutet das, zu versuchen, den Menschen näher zu sein, ihnen zuzuhören und ihre individuellen Situationen zu verstehen. Als Fotografin bedeutet es, sich auf die zu fotografierende Person einzulassen, eine Verbindung aufzubauen und zu verstehen, wie sich Fotograf:in und Fotografiertes gegenseitig beeinflussen. Und Ina stellt fest, dass die an der ecosign kultivierte Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Gegenüber auch ihre Fotografie positiv beeinflusst hat. Das tiefere Verständnis ermögliche eine ehrlichere Darstellung.
Auch das Hinterfragen und das Auflösen von etablierten Strukturen sei essenziell für das nachhaltige Gestalten, so die freie Dozentin. Kapitalistische, anthropozentrische, aber auch abstrakte Konzepte, wie die Subjekt-Objekt-Dichotomie, gilt es, als verantwortungsbewusste Designer:in herauszufordern und in der eigenen Arbeit zu überwinden.
Die Welt auf den Schultern? Schritt für Schritt zur Nachhaltigkeit
Ihr wundert Euch vielleicht, wie wir von der Frage, wie wir nachhaltiger leben können, zur Philosophie gekommen sind und fühlt Euch etwas überfordert? Keine Sorge. Unseren Leser:innen empfiehlt Ina erstmal, das Thema Nachhaltigkeit schrittweise und ohne zu viel Druck anzugehen. So sei es wichtig, zu verstehen, dass die eigenen Handlungen Auswirkungen haben, aber niemand wie Atlas das Gewicht der Welt auf seinen Schultern tragen muss. Mit Nachhaltigkeit kann und sollte man bei sich selbst beginnen. Schon trivial wirkendes Alltägliches, wie die Wohnung oder den Arbeitsplatz aufzuräumen, steigert das eigene Wohlbefinden, die Produktivität und die positive Ausstrahlung, die sich auf andere auswirkt. Und wer beispielsweise regionale oder Bio-Produkte einkauft, tut sich und der Umwelt etwas Gutes. Der erste Schritt sollte also die Frage an sich selbst sein: Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Was möchte ich verändern?