von Lara Lipsch und Jérôme Lenzen
Olaf Zimmermann ist ein gefragter Mann. Während der aktuellen Corona Krise womöglich mehr als sonst. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, dem eigenen Selbstverständnis nach ein Dachverband der Dachverbände, positioniert die Forderungen aus Kunst und Kultur auf allen Ebenen des politischen Diskurses. Denn zunehmend wird deutlich, dass die staatlichen Hilfen bei zahlreichen Akteuren in der Kulturlandschaft nicht greifen. Insbesondere Publikumseinrichtungen wie Theater schauen in eine ungewisse Zukunft. An gut besuchte Säle möchte derzeit niemand denken. Ob in 2020 überhaupt weitere Großveranstaltungen stattfinden, ist mehr als ungewiss. Für den Deutschen Kulturrat ist die Gefährdung von Kultureinrichtungen nicht neu. Bereits im Juli 2012 wurde die Rote Liste Kultur ins Leben gerufen. In Analogie zur Roten Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten besteht ihr Zweck darin, auf bedrohte Kultureinrichtungen aufmerksam zu machen. In seiner Zeitung Politik und Kultur stellt der Deutsche Kulturrat regelmäßig Kulturinstitutionen, -vereine und -programme vor, die verschieden gefährdet sind. Die gelisteten Kultureinrichtungen werden dabei in verschiedene Gefährdungskategorien eingeteilt, die das Maß ihrer Bedrohung verdeutlichen sollen:
- Kategorie 0 (geschlossen)
- Kategorie 1 (von Schließung bedroht)
- Kategorie 2 (gefährdet)
- Kategorie 3 (Vorwarnliste)
- Kategorie 4 (Gefährdung aufgehoben/ungefährdet)
Ziel der Roten Liste Kultur ist es, den Wert zu verdeutlichen, den Theater, Museen und weitere kulturelle Einrichtungen in und für unsere Gesellschaft haben. Dieser werde, laut Deutschem Kulturamt, oft erst durch den Gedanken an eine mögliche Schließung bzw. Bedrohung wahrgenommen. An dieser Stelle möchte der Kulturrat mit seiner Roten Liste ansetzen und gleichzeitig auf Defizite in der Kulturfinanzierung aufmerksam machen.
Gefährdung in Köln
Unter den bisher gelisteten Kultureinrichtungen sind auch einige Kölner Institutionen zu finden. Das 1936 gegründete und vom Geschäftsführer des Deutschen Kulturamts Olaf Zimmermann als ‚legendär‘ bezeichnete Millowitsch-Theater beispielsweise landete 2018 unter der Kategorie 1 (von Schließung bedroht) auf der aktuellen 30. Roten Liste und ließ noch im gleichen Jahr das letzte Mal den Vorhang fallen. Ähnlich erging es dem interkulturellen Theater Bühne der Kulturen, das 2017 unter der Kategorie 1 auf die Rote Liste gesetzt wurde und bereits im Juli desselben Jahres den Spielbetrieb einstellte.
Vergleichsweise glimpflich verlief es für das Kölner Theater der Keller. Nach 44 Jahren kündigte der Besitzer des Hauses, in dem das Theater ansässig war, das Ende des Mietvertrages an und versetzte das Theater zunächst in eine Krise. 2017 wurde es in die Kategorie 3 eingestuft und landete somit auf der Vorwarnliste. Derzeit befindet es sich, im Rahmen eines (verlängerten) Interimsjahres, in der Werkshalle der TanzFaktur in Köln-Deutz mit der Aussicht auf den Einzug in einen Gewerbehof am Kartäuserwall 18. Durch den anstehenden Umzug ist das Theater der Keller nunmehr in Kategorie 4 (Gefährdung aufgehoben/ungefährdet) eingestuft worden. Doch welche Auswirkungen wird nun Corona auf die Rote Liste haben? Oder empfiehlt es sich angesichts der drastischen Lage einer ganzen Szene sogar den Spieß umzudrehen und eine grüne Liste mit Institutionen herauszugeben, die nicht bedroht sind?
Was ist uns die Kultur wert?
Ein Beispiel innerhalb der deutschen Kulturförderpraxis offenbart, wohin die Reise womöglich gehen könnte. Seit 2014 erhebt die Stadt Köln eine sogenannte Kulturförderabgabe zur Besteuerung von entgeltlichen privaten Übernachtungen in Hotels. Seit einigen Wochen dürfen Privatpersonen jedoch nicht mehr in Hotels übernachten. Die Einnahmen aus der Förderabgabe erfahren somit in diesem Jahr einen erheblichen Rückgang: Mehrere Millionen Euro, die nicht mehr in die Kulturförderung fließen können. Auch andere Steuereinnahmen sinken, weswegen die Haushalte der Kommunen und Länder (Kultur ist Ländersache) in Schieflage geraten könnten. Wenn in allen Bereichen der Gürtel enger geschnallt werden muss, wo bleibt dann am Ende die Kultur? Schon vor der Krise hatten Kulturpolitiker:innen kein leichtes Standing, wenn sie ihre Forderungen gegenüber Themen wie Schulbau oder Verkehrsprojekten vorgetragen haben. Diese Krise wird uns zeigen, welches Standing die Kultur in unserer Gesellschaft tatsächlich hat und welchen Preis wir zu zahlen bereit sind. Sehen wir Kultur als integrativen Bestandteil unseres Gemeinwesens, womöglich als einen Motor für die Befreiung aus der Krise und räumen ihr daher auch die notwendigen Mittel ein, oder gibt es eine stärkere Kürzung der Kulturetats als in anderen Bereichen, weil Kultur nur Kultur ist? Die nächste Rote Liste könnte eine Antwort auf diese Frage geben.