Jérôme Lenzen, Ko-Geschäftsführer des Kölner Instituts für Kulturarbeit und Weiterbildung, hat viele Fragen! 11 davon stellt er Kunst- und Kulturschaffenden in Köln. Das Besondere? Die Fragen bleiben identisch, die Befragten jedoch wechseln.
Heute spricht Jérôme mit Meryem Erkus. Meryem ist freie Kuratorin, Veranstalterin, DJ und stadtpolitische Aktivistin. Als Gründerin des Projektraumes GOLD+BETON am Ebertplatz und Mitgründerin der Kalker Vereine Baustelle Kalk und Kulturhof Kalk zeigt sich Meryem Erkus mitverantwortlich für viele (sub-)kulturelle Projekte, hybride Ausstellungsformate und sozio-kulturelle Schnittstellen in Köln. Sie arbeitet in unterschiedlichsten kuratorischen Konzepten und Kooperationen unter ihnen z.B. Brückenmusik, Stadtgarten Köln, baumusik, Akademie der Künste der Welt, usw. Am Ebertplatz war sie maßgeblich für den Kampf um die Erhaltung der Kunstpassage mitverantwortlich und ist aktiv an der Gestaltung der offiziellen Interimsphase beteiligt. Seit 2017 kämpft sie mit dem Kulturhof Kalk e.V. für den Aufbau eines neuen (sozio-kulturellen) Freiraums auf Teilen des Hallen Kalk Geländes.
Wofür steht die Kölner Kultur (respektive was ist typisch für Köln)?
Das positive an der Kölner Kultur ist meiner Meinung nach, dass irgendwie Alles eine Gesamt-Szenerie ergibt. Es gibt einen gewissen Haufen an mehreren 100 Personen, die gerne auch mal zu mehreren 1000 werden, aber inhaltliche Abgrenzungen und Format-Auslegungen wirken hier nicht wie Grenzen sondern eher wie eine wohl gemischte Selbstverständlichkeit. Das ist ja schon recht Kölsch. Andererseits hat das natürlich mit einer gewissen Bequemlichkeit und Genügsamkeit zu tun, was wiederum sowohl sehr Kölsch als auch sehr spaßig ist … ¯\_(ツ)_/¯
Welche Kulturveranstaltung in Köln (Ausstellung, Festival, etc.) hat Dich zuletzt vom Hocker gehauen?
Meine letzten Party Highlights vor Corona waren die GRAND WELLNESS SHOW (Karneval im Stadtgarten All Areas, s/o to DJ ICH LIEBE DICH und EIKE) und FLESHWORLD INFLICTER im Soyya. Außerdem hoffe ich darauf, dass die Tony Conrad Ausstellung im KKV nochmal öffnet, da ich noch nicht alles sehen konnte. Auch die Konferenz Die Unsichtbare Stadt von Studierenden der KISD ist mir sehr positiv im Gedächtnis geblieben.
Und wo hast Du Dir mehr erhofft?
Jammern auf höchstem Niveau, und tatsächlich einfach mit zu hohen Erwartungen herangegangen: ACTRESS in der Philharmonie – aber das ist ja immer das Risiko bei Konzerten auf die man Jahre lang wartet.
„Aneta Rostowska, die neue Direktorin der Temporary Gallery macht einen bemerkenswerten Job.“
Gibt es eine/n Kulturschaffende/n in Köln, die/der von Dir besonders bewundert wird?
Aneta Rostowska, die neue Direktorin der Temporary Gallery macht einen bemerkenswerten Job. Außerdem freue ich mich regelmäßig darüber dass Julia Scher in Köln lebt und arbeitet. She’s a bomb! Weitere shoutouts natürlich an meine Crew von baumusik und die SOYYA Gang, aber hier hat echt vieles, sei es das AZ, dublab.de, oder A-Musik, Gesellschaftsrelevanz. Und dass alles rundum IT TASTES LIKE ASHES zu den besten Produkten Kölns gehört, hat sich hoffentlich auch mittlerweile rumgesprochen.
Ai Wei Wei hat Berlin unter großem Getöse verlassen, welchen Kulturmenschen hättest Du gerne in Köln?
Stefanie Sargnagel und die Burschenschaft Hysteria.
Neue Oper, neue Museen, neuer Dom? Was für ein Gebäude wünscht Du dir für Köln?
Ganz klar: Eine Kunsthalle! Das Fehlen dieser ist an Peinlichkeit kaum zu übertreffen.
(Anmerkung von Jérôme: Die Josef-Haubrich-Kunsthalle wurde 2003 abgerissen. Sie stand am heutigen Standort des Rautenstrauch-Joest-Museums am Neumarkt und war ein ganz wunderbarer Beton-Bau.)
Und welches gibt es schon, das Dir besonders gefällt?
Natürlich der Ebertplatz, so eine Einmaligkeit hat bei mir oberste Schutz-Priorität, in so vielen Belangen unglaublich wichtig für die Stadt. Alle Böhm-Betone der Stadt lassen mein Brutalismus-Herz auch immer wieder hüpfen. Außerdem arbeiten wir seit ein paar Jahren daran, ein Gelände im Hallen Kalk Areal bespielen zu dürfen. Dieser gesamte ehemalige Industrie-Komplex ist das interessanteste Entwicklungs-Areal das Köln derzeit zu bieten hat, v.a. da es gemeinwohlorientiert erschlossen werden soll, d.h. der Groß-Investor wird hier keinen Platz haben. Außerdem wird in einer der 10.000qm Hallen das Haus der Einwanderungsgesellschaft von DOMiD, dem Dokumenationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland, errichtet. Da hat alles großes Potential öffentlicher Lieblingsort zu werden.
„Alle Böhm-Betone der Stadt lassen mein Brutalismus-Herz auch immer wieder hüpfen.“
‚Kultur lebt in Köln‘ heißt der neue Slogan des Stadtmarketing: Was wäre Deiner?
Intern rede ich an angebrachter Stelle gerne von der „Stadt der Städtebauverhinderung“ – in Anlehnung an den Begriff „Städtebauförderung“ – in vielen Fällen wird sich einfach nicht genug getraut, bzw. arbeiten Ämter all zu oft gegeneinander oder gegen politische / öffentliche Entscheidungen. Das will und soll so einfach nicht in meinen Kopf gehen.
In Berlin schließen die ersten Clubs, wird jetzt Köln zur Nummer 1 oder doch Wuppertal?
Köln muss sich zumindest warm anziehen. Mit neuen Netzwerken und großen Clubs (z.B. Tresor West) rundum das Ruhrgebiet, bekommt der Bereich hoffentlich endlich auch mal wieder größere kulturelle Strahlkraft und Sichtbarkeit. Und in Wuppertal gibt es ein ganz anderes Verständnis von öffentlichem Raum und kulturellen Freiflächen. Mein Eindruck ist, dass dort verstanden wurde, dass z.B. auch Gemeinwohl Rendite sein kann. In Köln sehe ich momentan kaum Perspektive, dass tatsächlich NEUE Clubs ERMÖGLICHT geschweige denn GEWÜNSCHT werden, und die traurige Wahrheit beweist auch leider noch immer das Gegenteil: Diverse Clubs, Kultur- und Frei-Räume sind weiterhin in ihrer Existenz bedroht, obwohl das Problem seit Jahren bekannt ist. Generell stellt sich diese Frage nach „entweder oder“ ja auch nur deshalb, weil wir von unseren Nachbarstädten aktiv ferngehalten werden. Müsste ich nicht 30,-€ Fahrtkosten einplanen, wäre ich sicher öfters unterwegs in der direkten Nachbarschaft. Noch so ein Unding …
Ehrenfeld wird teurer, wo ist die Freie Szene jetzt noch zu Hause?
Mülheim, Poll (Quartier am Hafen), Neustadt Nord, hoffentlich bald Kalk.
Wem sollen wir diese Fragen als nächstes stellen?
Kaleo Sansaa (Musikerin) oder eine der Gründerinnen des And She Was Like: BÄM! Netzwerks.